Im vorigen Abschnitt hatten wir gesagt, dass der Zustand ,Leben‘ charakterisiert ist durch ein inneres instabiles, fließendes Gleichgewicht, die Homöostase. Dazu gehört unter anderem, dass die zur Aufrechterhaltung der Lebensvorgänge benötigten Stoffe sowie Energie in genügender Menge zufließen, und dass Stoffwechselendprodukte abgeführt werden.
Um am Leben zu bleiben, muss das Lebewesen die Homöostase aufrechterhalten. Die dafür erforderliche Selbstregulation ist ist die primäre Aktivität des Lebewesens. Leben ist daher seiner Natur nach ein aktiver Zustand, ein Zustand der Bewegung, zumindest im Inneren des Lebewesens. Etwas, das außen und in seinem Inneren ganz und gar unbeweglich ist, werden wir nicht als lebendig ansehen.
Eigenbewegung ist also ein Wesensmerkmal der Lebewesen. Zur Bewegung im flüssigen Inneren der Zellen kommt das Wachstum, die Ausbreitung im Raum hinzu als die wohl erste Art und Weise äußerlich beobachtbarer Bewegung. Bevor etwas in eine Richtung wachsen kann, z.B. die grüne Pflanze dem Licht entgegen, muss es überhaupt fähig sein, zu wachsen. Die Eigenaktivität – hier das Wachstum – ist also die Voraussetzung dafür, dass die Pflanze auf das Licht, also auf eine von außen kommende Information reagieren kann. Aktion ist die Basis für Reaktion.
Zum Wachstum gesellt sich die aktive Fortbewegung: Schon primitive Einzeller ohne Zellkern (Prokaryonten, z.B. Bakterien) können sich mit Hilfe rotierender Geißeln in Flüssigkeiten fortbewegen. Ursprünglich waren solche Bewegungen wahrscheinlich ohne Ziel, denn bereits das Fortbewegen an sich brachte Gewinn: In einem stehenden Gewässer steigt um ein ruhendes Lebewesen herum die Konzentration seiner Stoffwechselprodukte, und zugleich sinkt mit der Zeit die Konzentration von Nährstoffen. Ein Lebewesen, das sich aktiv fortbewegt, kann dieser ungünstigen Situation entfliehen.
Viele Bakterien besitzen allerdings Rezeptoren, durch die sie Nährstoffe und Schadstoffe in ihrer Umgebung registrieren und ihre Bewegungen danach steuern (Chemotaxis). Es sind aber nicht die Nährstoffe oder Schadstoffe selbst, die die Bewegung des Bakteriums steuern. Was die Bewegung steuert, ist die Selbstregulation im Inneren des Einzellers, die letztlich dem Zweck dient, ihn am Leben zu erhalten.
Es ist also falsch, zu glauben, die Aktivität von Lebewesen würde durch äußere Faktoren, durch äußere ,Reize‘ ausgelöst oder gesteuert. Die Aktivität des Lebewesens ist das Primäre – sie ist von Anfang an vorhanden, sie dient der Aufrechterhaltung der Homöostase. Wenn grüne Pflanzen dem Licht entgegenwachsen, dann nicht, weil das Licht sie zu sich hin zieht – dazu hat das Licht keine Kraft. Es ist viel mehr die innere Selbstregulation der Pflanze, die im Verlauf der Evolution gelernt hat, dass es für das Gedeihen der Pflanze von Vorteil ist, wenn sie sich nach dem Licht auszurichten.
Es sei auch noch einmal daran erinnert, dass Lebewesen zwei Aggregatzustände in sich vereinen: Sie sind flüssig in ihrem Inneren, aber (mehr oder weniger) feste Körper nach außen. Letzteres gibt ihnen einerseits die Möglichkeit, als feste Körper zu wachsen – man denke an die Bedeutung der festen Zellwände für das Wachstum der Bäume. Andererseits können sich Lebewesen, die nicht festgewachsen sind, frei als Körper im Raum bewegen – wie ein Sandkorn, das vom Wind verweht wird, wie ein Stein, der einen Abhang herabrollt,, oder wie ein Planet, der auf seiner Bahn dahinzieht.
Die Fortbewegung von Körpern treffen wir also auch in der unbelebten Natur überall an. Jede dieser Bewegungen hat Ursachen, durch welche sie bestimmt ist. Aber die Fortbewegung natürlicher lebloser Körper hat keinen Zweck und kein Ziel. Anders bei Lebewesen. Ihre aktive Fortbewegung wird primär durch innere Prozesse angetrieben und gelenkt, die letztlich der Aufrechterhaltung der Homöostase, also des Zustands ,Leben‘ dienen
Weil die Aktivitäten und Bewegungen von Lebewesen Zwecke und Ziele haben, können wir sie an diesen Zwecken und Zielen messen und als richtig oder falsch, als nützlich oder schädlich für die Lebenserhaltung bewerten. Sogar Dinge und Ereignisse in der Umgebung eines Lebewesens, die dessen Wohl beeinflussen, werden – aus der Perspektive des Lebewesens – zu guten und schlechten Dingen und Ereignissen.
Das Leben und sein immanentes Ziel, sich als Leben zu erhalten – und nicht in den physikalisch wahrscheinlicheren Materiezustand der Leblosigkeit zurück zu fallen – bringen es also mit sich, dass in der Welt eine Polarität aufbricht zwischen dem Guten und dem Schlechten, dem Nützlichen und dem Schädlichen, und in der Aktivität des Lebewesens selbst zwischen dem Richtigen und dem Falschen. Ein Lebewesen kann sich irren, es kann sich falsch verhalten, mit Gefahr, Leid oder Tod als Folge.
Erst dadurch, dass Tod oder Leid mögliche Folgen des Verhaltens eines Lebewesens sind, wird dieses Verhalten richtig oder falsch. Mit dem Leben kommt auch der Irrtum in die Welt. Die Polarität von Leben und Tod, die mit der Entstehung des Lebens aufbricht, führt also zu einer Polarität der Dinge und Ereignisse, die ein Lebewesen angehen – die für es Lust oder Leid, Wohl oder Wehe, Überleben oder Tod bedeuten. Und diese Polarität betrifft natürlich besonders jene Ereignisse, die ein Lebewesen durch eigene Aktivität verursacht. So tut sich der Gegensatz auf zwischen Richtig und Falsch, zwischen Verstehen und Irrtum (Missverstehen).
Wenn sich ein Tier in seiner Welt – in der Welt, die es angeht, richtig verhält, also so, dass es überlebt und Schaden für sich vermeidet, dann müssen wir ihm wohl zugestehen, dass es seine Welt und versteht – auch wenn dies kein bewusstes Verstehen ist. Das Tier ,weiß‘ (freilich unbewusst), was die Informationen, die es aus seiner Umgebung empfängt, für sein Verhalten ,bedeuten‘. Semantik, also Bedeutung von Information kommt dadurch in die Welt, dass Lebewesen gefordert sind, sich als Reaktion auf Information aktiv so oder so zu verhalten.
Aber kann man nicht auch von leblosen Dingen sagen, das Ereignisse in ihrer Umgebung etwas für sie bedeuten? Kann man nicht sagen: Frost bedeutet für das Wasser ,dass es gefriert? Der entscheidende Unterschied ist, dass es in diesem Fall die äußere Einwirkung ist, die das Verhalten des Wassers bestimmen. Das Wasser verhält sich nicht aktiv, und es kann sich nicht falsch verhalten, da es für das Wasser kein Ziel gibt, gemessen an dem sein Verhalten richtig oder falsch sein könnte.
Stellen wir uns nun ein einfaches Tier vor, vielleicht ein Insekt, das durch seine Sinnesorgane in der Lage ist, verschiedene Nahrungsangebote und verschiedene potentielle Gefahren zu registrieren (das ist keine unrealistische Vorstellung). Gegenüber allen Nahrungsangeboten verhält es sich in gleicher Weise: Es nähert sich, um zu fressen, Auch allen Gefahren gegenüber verhält es sich in gleicher Weise: Es flieht. Ein solches Tier besitzt demnach zwei Kategorien: eine für Dinge, die es sucht, und eine für Dinge, die es meidet.
Lebewesen sind also fähig und gefordert, Kategorien zu bilden, und zwar deshalb, weil sie fähig sind und um ihres Überlebens willen fähig sein müssen, Unterschiede zu erkennen. Der grundlegende Unterschied, der für ein Lebewesen in seiner Welt besteht, ist der zwischen dem, was ihm hilft zu überleben, und dem, was ihm schadet und mit dem Tod bedroht. Dies sind die Ur-Kategorien; es ist der Ur-Unterschied, den ein Lebewesen in seinem Verhalten berücksichtigen muss.
Die Kategorien, über die schon einfachste Lebewesen verfügen, sind ausschließlich solche des praktischen Verhaltens, nicht des Denkens. Aber auf diesen Kategorien beruht das erste Verstehen von Information, das heißt, das Verstehen der Bedeutung der Unterschiede, die dem Lebewesen in den Strukturen und Gestalten seiner Welt begegnen und die es durch Rezeptoren oder Sinnesorgane zu erfassen vermag. Dieses Verstehen ist, wie gesagt, zunächst nichts als ein ,richtiges‘, dem Überleben und/oder der Arterhaltung dienliches Verhalten.
Dem Verstehen steht der Irrtum gegenüber – der Irrtum im Sinne von Missverstehen und des falschen Verhaltens. Für eine Pflanze oder ein Tier ist dies einunddasselbe. Die Ursache des Irrtums liegt stets im Lebewesen selbst: Ihm fehlt (in seiner Struktur) das nötige Wissen, um eine Information zu verstehen, d.h. richtig darauf zu reagieren. Im nächsten Abschnitt wird es darum gehen, wie ein Lebewesen Wissen erlangt.