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3.7. Datenproduktion und Datenverarbeitung,

Im Abschnitt 2.2 hatte ich geschrieben: „Informationen sind also keine Daten, sondern sie sind das, woraus man Daten gewinnen kann. Daten werden von uns produziert. Wir tun das, indem wir feststellen, dass etwas so oder so ist – indem wir also Entscheidungen treffen.“ Aber sind alle Feststellungen, dass etwas so (und nicht anders) ist, bereits Daten? Offenbar müssen die Entscheidungen irgendwie durch Symbole repräsentiert sein, z.B. durch Zahlen oder Buchstaben – man denke an Geburtsdaten, Adressdaten oder Messdaten.

Solche ,klassische‘ Daten werden typischerweise in Tabellen oder Registern erfasst, und dafür müssen sie eine bestimmte, festgelegte Form haben. Sollen Daten maschinell verarbeitet werden, wird die exakte Form der Symbole und ihrer Verknüpfungen noch wichtiger, denn die Maschine, die die Bedeutung der Daten nicht versteht, verarbeitet sie allein auf der Basis ihrer Formen und ihrer Struktur – sie arbeitet rein syntaktisch (nicht semantisch). Damit das funktioniert, gibt es für die Formung und Strukturierung von Daten, die maschinell verarbeitet werden sollen, strenge Vorschriften und Regeln, die als Syntax bezeichnet werden – analog zur Syntax einer natürlichen Sprache. Die Syntax legt fest, wie Daten als Form und Struktur, d.h. als Information beschaffen sein müssen, so dass sie ,wohlgeformt‘ sind und von der Maschine problemlos verarbeitet werden können.

3 Sollen Daten in elektronischen Rechnern verarbeitet werden, dann müssen die digitalisiert, d.h. vollständig in Zahlen umgewandelt werden. Als Zahlensystem wird dabei bekanntlich nicht das Dezimalsystem, sondern das Dualsystem genutzt, das nur die Ziffern 0 und 1 verwendet. Jede Null oder Eins, d.h. jedes Bit kann als eine Ja-oder-Nein-Entscheidung angesehen werden. Klassische Daten werden also dadurch in digitale Daten verwandelt, dass sehr viele Entscheidungen darüber getroffen werden, wie die klassischen Daten durch Sequenzen aus Einsen und Nullen symbolisiert werden.

Wir können also allgemein sagen: Daten sind Entscheidungen, die durch Symbole einer natürlichen oder künstlichen Sprache repräsentiert werden. Diese symbolischen Repräsentationen müssen in einer gewissen (festgelegten) Weise wohlgeformt sein, damit sie von Menschen rationell oder von Maschinen überhaupt verarbeitet werden können.

Wenn man ,Daten‘ so definiert, wie ich es oben getan habe, dann heißt dies, dass der Ausdruck „Sinnesdaten“ falsch ist. Mit unseren Sinnen nehmen wir Informationen auf. Daten entstehen daraus erst durch einen Akt des Erkennens, Verstehens oder Feststellens, der stets eine Entscheidung einschließt: Das ist Paul (und niemand anders); das schmeckt süß (und nicht sauer oder salzig); das klingt wie eine Amsel (und nicht wie eine Nachtigall).

Im Abschnitt 2.3 war beschrieben worden, dass die Übertragung und Speicherung von Information auch in der unbelebten Natur ein normaler und häufiger Vorgang ist. Die Übertragung und Speicherung von Daten dagegen erfordert die Verarbeitung von Symbolen. Sprechen beispielsweise ist nicht nur ein Aussenden von Information (von Schallwellen), sondern auch ein Aussenden von Symbolen: von Wörtern, durch die Dinge, Eigenschaften, Tätigkeiten und Relationen symbolisiert werden. Sprechen ist also ein Aussenden von Symbolen.

Allerdings werden diese Symbole im Gehirn des Empfängers nicht direkt als Symbole verarbeitet. Vielmehr müssen die Information, also die Schallwellen, erst einmal als Phoneme und die Phonemsequenzen als Wörter verstanden werden (wozu Wissen erforderlich ist). Erst durch das Verstehen verwandelt sich die Information wieder in Zeichen mit Bedeutungen . Ein Computer dagegen verarbeitet Symbole direkt, ohne sie zu verstehen – die Algorithmen, die Vorschriften, wie er das zu tun hat, sind ihm von Menschen, die die Bedeutung der Symbole verstehen, eingepflanzt worden.

Aber können Menschen nicht auch Zeichen verarbeiten, ohne ihre Bedeutung zu verstehen? Ja, das können sie – genau dies hat John Searle mit seinem „Chinesischen Zimmer“ beschrieben [1]. Aber auch in diesem Fall muss Searle in dem Zimmer die eingehenden Fragen anhand der Vorschrift mit richtigen Antworten verknüpfen. Weil er ein Mensch ist, kann er sich dabei irren – für jemanden, der kein Chinesisch kann, ist es leicht möglich, die chinesischen Symbole zu verwechseln. Searle muss also, auch wenn er sich bemüht, exakt der Vorschrift zu folgen, jedesmal eine Entscheidung treffen, die auch falsch sein kann. Eine Maschine, die diese Zeichen verarbeiten würde, könnte sich nicht irren, denn sie trifft keine eigene Entscheidung. Sie kann nur schlecht konstruiert, schlecht programmiert oder unzureichend „trainiert“ sein.

Ein reales Beispiel für die rein syntaktische Datenübertragung durch Menschen (die also Symbole übertragen, ohne deren Bedeutung zu kennen) ist die optische Telegraphie, ein System zur Übermittlung von Nachrichten über weite Strecken mit Hilfe von Türmen, auf denen Masten mit beweglichen Armen errichtet waren. Der Telegraphist musste (mit Hilfe des Fernrohrs) die benachbarten Türme beobachten, die jeweilige Einstellung der Telegraphenarme dort erkennen und sie am eigenen Telegraphen genau nachbilden. Die Bedeutung dieser Einstellung musste er nicht kennen, und er kannte sie oft tatsächlich nicht, wenn geheime Nachrichten verschlüsselt übermittelt wurden.

Der Telegraphist bildet also hier nur die Information (die Form, die die Telegraphenarme bilden) nach, ohne die Bedeutung verstehen zu müssen. Er erfüllt gewissermaßen die Funktion einer Maschine, aber weil er keine Maschine, sondern ein Mensch ist, muss auch er jedesmal eine Entscheidung treffen: Ja, es ist dieses (und kein anderes) Symbol, das ich weiterleiten muss. Dabei können Irrtümer auftreten, z.B. bei schlechter Sicht, oder durch Ablenkung der Aufmerksamkeit. Das Entscheiden wird ihm aber dadurch erleichtert, dass die zulässigen Einstellungen der Telegraphen-Arme begrenzt und gut unterscheidbar sind.

Zusammenfassend können wir sagen: Datenverarbeitung ist eine besondere Art der Informationsverarbeitung, nämlich die Übertragung und Speicherung von Entscheidungen mit Hilfe von Symbolen, oder kurz: Symbolverarbeitung. Da Menschen (aber nicht Maschinen) eigene Entscheidungen treffen können, können Menschen (aber nicht Maschinen) Daten erzeugen. Andererseits können Menschen (im Unterschied zu Maschinen) Daten nicht direkt übertragen: der Empfänger muss die Entscheidung aufgrund der empfangenen Information stets selbst treffen – auch dann, wenn ihm dies, wie beim optischen Telegraphen und in vielen anderen Fällen, durch die formale Eindeutigkeit der Symbole sehr erleichtert wird [2].

Im Unterschied zu Menschen können Maschinen Daten – also Ja/Nein- oder Eins/Null-Entscheidungen – direkt übertragen. Wir können sogar sagen: Maschinen sind generell, ihrem Wesen nach, Entscheidungs-Überträger und Entscheidungs-Speicher: Maschinen sind künstliche Gebilde mit beweglichen Teilen, bei denen die Bewegung eines Teiles die Bewegung eines anderen Teiles oder mehrerer anderer Teile bewirkt. Dabei werden stets nicht nur Kräfte, sondern auch Entscheidungen übertragen – Entscheidungen über den Zeitpunkt, die Richtung, die Geschwindigkeit und Dauer von Bewegungen. Diese Entscheidungen werden von Menschen getroffen, entweder direkt, indem z.B. eine Kurbel gedreht, ein Pedal getreten, eine Taste gedrückt wird, oder indirekt durch die Konstruktion oder Programmierung der Maschine.

Konstruktion oder Programmierung einer Maschine sind damit zugleich Entscheidungs-Speicher. Im Falle einer Programmierung erscheint diese Feststellung trivial. Aber auch in einer Konstruktion, z.B. in einem Getriebe, sind die Entscheidungen darüber gespeichert, wie die Bewegungen zwischen den Bauteilen (Wellen, Rädern, Hebeln usw.) übertragen werden sollen – ob und wie Geschwindigkeit, Drehrichtung oder andere Parameter geändert werden sollen. Die Entscheidungen, die der Konstrukteur oder Programmierer einmal getroffen hat, werden von der Maschine immer aufs Neue ausgeführt.

Eine besondere Rolle bei der menschlichen Datenerzeugung spielen Messgeräte. Wie alle Werkzeuge und Maschinen Erweiterungen menschlicher Fähigkeiten sind, so sind auch Messgeräte nichts anderes: Sie sind Erweiterungen der menschlichen Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen Wir treffen Entscheidung bereits dadurch, dass wir eine Skala festlegen. Beispielsweise entscheiden wir über Temperaturdaten, indem wir die Ausdehnung einer Messflüssigkeit, z.B. Quecksilber, mit der Celsius- oder Kelvin-Skale in Beziehung setzen. Die Information über die Temperatur, also die Ausdehnung der Messflüssigkeit, ist wie sie ist – aber die Zahlen, die Daten hängen von unseren Entscheidungen ab.

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Fußnoten

  1. Searle, J. (1980). Minds, Brains, and Programs. Behavioral and Brain Sciences 3, 417–457.  [⇑]
     
  2. Auch die Umstände, z.B. das Befehls- und Gehorsmasverhältnis beim Militär oder stupide Arbeit am Fließband können dazu beitragen, dass ein Mensch die Entscheidungen eines anderen nur ausführt. Doch auch dann besteht prinzipiell die Möglichkeit, dass er die Anweisungen missversteht und das Falsche oder gar nichts tut. Ein Mensch entscheidet also immer selbst, auch wenn sein Spielraum stark eingeschränkt ist, wenn er gewissermaßen zum ausführenden Organ eines anderen gemacht wird und sich dann auch so fühlt: als Rad im Getriebe.  [⇑]
     

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