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Einführung: Das Bieri-Trilemma

Das Leib-Seele-Problem ist wohl das Grundproblem, um das es in der modernen Philosophie des Geistes geht. Der Philosoph und Schriftsteller Peter Bieri hat es in einen Trilemma zusammengefasst [1]. Das Trilemma besteht aus drei Thesen, denen vermutlich viele Menschen zustimmen werden:
 

(1) Mentale Phänomene sind nichtphysikalische Phänomene.
 
(2) Mentale Phänomene sind im Bereich physikalischer Phänomene kausal wirksam.
 
(3) Der Bereich physikalischer Phänomene ist kausal geschlossen.
 

Die erste These entspringt unserer Intuition, dass der Geist und das Bewusstsein in uns etwas anderes sind als die Dinge der Außenwelt . Mein Bewusstsein ist etwas Subjektives, nur mir selbst unmittelbar Zugängliches – die Dinge in der Welt außerhalb des Bewusstseins erscheinen mir dagegen objektiv. Hinzu kommt noch die Überlegung: Wären geistige Phänomene physikalische Phänomene, dann wären alle meine Entschlüsse dem physikalischen Prinzip von Ursache und Wirkung unterworfen. Es gäbe dann keine Freiheit, denn jede meiner Entscheidungen wäre durch ihre Ursachen eindeutig vorherbestimmt.

Die zweite These entspricht unserer tiefen Überzeugung, dass der Wille, die Gedanken und Gefühle die Bewegung des Körpers und mithin das Verhalten steuern. Würde die zweite These nicht gelten, dann wären mein Bewusstsein, mein Denken und Fühlen nur Epiphänomene, das heißt folgenlose Begleiterscheinungen jener physischen Prozesse im Gehirn, die dann in Wahrheit mein Verhalten steuern würden – hinter meinem Rücken sozusagen. All mein Denken und Fühlen wäre überflüssig und purer Selbstbetrug.

Die dritte These bedeutet, dass es für jedes Ereignis in der physischen Welt hinreichende physikalische Ursachen gibt, und dass es durch nichts weiter als durch diese physikalischen Ursachen geschieht. Das ist eine Grundannahme der Physik, auf der alle physikalischen Gesetze – die Existenz physikalischer Gesetze überhaupt – und auch unsere gesamte Technik beruhen, insbesondere unsere Fähigkeit, technische Abläufe durch die Kenntnis der physikalischen Gesetze vorauszuplanen.

Für alle drei Thesen lassen sich also gute Gründe angeben. Das Trilemma besteht nun darin, dass nur zwei der drei Thesen gleichzeitig wahr sein können:

Wenn These 1 und 2 wahr sind, wenn also mentale Phänomene nicht physikalisch sind und trotzdem auf die physikalische Welt einwirken können, kann letztere nicht kausal geschlossen sein – These 3 muss also falsch sein.

Wenn dagegen These 1 und 3 wahr sind, wenn also mentale Phänomene nicht physikalisch sind, die physikalische Welt aber kausal geschlossen ist, dann kann es keine Wirkung mentaler Phänomene auf die physikalische Welt geben – also muss These 2 falsch sein.

Und schließlich: Wenn die Thesen 2 und 3 wahr sind, wenn also mentale Phänomene in der kausal geschlossenen physikalischen Welt wirksam sein können, dann müssen mentale Phänomene physikalisch sein – also ist These 1 falsch.

Es können also nicht alle drei Thesen zugleich wahr sein – auf eine von ihnen muss man verzichten – aber auf welche? Der Verzicht auf die erste These führt zum Physikalismus, der Verzicht auf die zweite These zum Epiphänomenalismus. Menschen, die die dritte These ablehnen, sind oft Dualisten und glauben an Gott (der Glaube an ein allmächtiges Geistwesen, das in die physikalische Welt eingreift, ist hier quasi die Basis für den Glauben, dass der menschliche Geist dies auch vermag).

Alle drei Positionen – Physikalismus, Epiphänomenalismus und Dualismus – werden heutzutage vertreten, wobei man wohl sagen kann, dass der Physikalismus in den letzten Jahrzehnten im Vormarsch war. Der Physikalismus ist sowohl mit einem wissenschaftlich bestimmten Weltbild vereinbar als auch mit unserer starken Intuition, dass unser Denken, Fühlen und Entscheiden unser Handeln bestimmt. Doch auch der Physikalismus birgt einige Problemen. Aus meiner Sicht sind zumindest zwei dieser Probleme schwerwiegend:

Eines davon habe ich oben bei der Erläuterung der ersten These des Trilemmas angedeutet: Wenn geistige Phänomene physikalische Phänomene sind, dann sind meine Entschlüsse dem physikalischen Prinzip von Ursache und Wirkung unterworfen. Das heißt, aus einer Ursache (oder einer Konstellation von Ursachen) folgt eindeutig ein bestimmtes Resultat. Physikalische Ursachen können sich nicht aussuchen, was aus ihnen folgt – wir dagegen glauben, dass wir in einer gegebenen Situation die Wahl haben, uns entweder so oder anders zu verhalten. Dieser Glaube scheint mit den Gesetzen der Physik unvereinbar zu sein. Ist er eine Illusion?

Das zweite schwerwiegende Problem, das mit dem Physikalismus verknüpft ist, ist die Frage, wie aus ungeistiger und unbewusster Materie – aus den Wechselwirkungen zwischen Elementarteilchen, Atomen oder Molekülen – der menschliche Geist und das Bewusstsein entstehen konnten. Oder anders herum gefragt: Wie können wir die Natur als etwas verstehen, dass fähig ist, Geist hervorzubringen?

Antworten auf diese beiden Fragen zu finden – auf die Frage nach der Entstehung des Geistigen in der Natur und auf die Frage nach der Freiheit – das ist mein Ziel auf dieser Website. Ein weiteres Problem des Physikalismus ist das des Bewusstseins selbst. David Chalmers hat es „das eigentlich „schwierige Problem“ (the hard problem of consciousness) genannt: Wie kommt es, dass wir die Welt überhaupt bewusst erleben?

Ich weiß nicht, ob es auf diese Frage eine Antwort gibt, denn schließlich ist das Bewusstsein die Grundlage all unseres Antwortens und Erklärens. Der Versuch, das Bewusstsein zu erklären kommt mir vor wie der Versuch, sich am eigenen Haarschopf aus dem Sumpf zu ziehen – in diesem Fall aus dem Sumpf der Unwissenheit.

Ich bin aber optimistisch, dass Antworten auf die Frage nach der Entstehung des Geistigen in der Natur und auf die Frage nach der Freiheit angesichts des Determinismus es uns ermöglichen werden, wenigstens einige Aspekte des Bewusstseins besser zu verstehen, etwa seine Funktion – das heißt, zu verstehen warum wir keine philosophischen Zombies [2] sind und warum wir sicher sein können, dass auch unsere Mitmenschen und die höher entwickelten Tiere über bewusstes Erleben verfügen.

 

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Fußnoten

  1. Peter Bieri. Analytische Philosophie des Geistes, Bodenheim: Athenäum Hain Hanstein 1993 (2. Aufl.) S. 9ff.  [⇑]
     
  2. In einem Gedankenexperiment vertritt David Chalmers die These, dass philosophische Zombies denkbar seien: Wesen, die physiologisch nicht von Menschen zu unterscheiden sind und sich in allen Situationen genau wie Menschen verhalten, die aber ohne phänomenales Erleben sind. Siehe Chalmers, D. (1996): The Conscious Mind. New York: Oxford University Press.  [⇑]